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Eine Leitung, zwei Systeme – Gleich- und Wechselstrom auf demselben Mast

Neue Stromleitungen zu bauen, ist ein langwieriger Prozess, der auf grosse Widerstände stossen kann. Einfacher ist es, die Kapazität zu erhöhen, indem man auf bestehenden Masten Gleich- und Wechselstrom vereint. Wie steht die Bevölkerung zu solchen Hybridsystemen?

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Hybride Freileitungen in der Schweiz».
Der Ausbau der erneuerbaren Energien stellt die Netze vor Herausforderungen – eine Möglichkeit ist die Kombination von Wechsel- und Gleichstrom in unterschiedlichen Kabeln auf derselben Stromleitung.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien stellt die Netze vor Herausforderungen – eine Möglichkeit ist die Kombination von Wechsel- und Gleichstrom in unterschiedlichen Kabeln auf derselben Stromleitung. Shutterstock
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Hybridstromleitungen – also Leitungen, die in unterschiedlichen Kabeln sowohl Gleich- wie auch Wechselstrom transportieren – können die Übertragungskapazität des Netzes wesentlich steigern.
  • Dies hilft, die Stromproduktion mit Wind- und Sonnenenergie ins Netz zu speisen, ohne dass neue Leitungen nötig sind.
  • Bei optimaler Planung der beiden unterschiedlichen Systeme auf derselben Hochspannungsleitung kann die Lärmbelastung unter die Grenzwerte gesenkt werden.
  • Wenn Politik, Forschung und Planer die Bevölkerung über die positiven Aspekte aufklären und keine Angstkampagne gemacht wird, haben Hybridleitungen gute Chancen auf Zustimmung.

Damit die Energiestrategie 2050 erfolgreich umgesetzt werden kann, muss das Stromnetz verstärkt werden. Denn der Ausbau der erneuerbaren Energien wie Wind- und Sonnenenergie verlangt grössere Kapazitäten im Stromübertragungsnetz. Eine Möglichkeit wäre der Bau neuer Leitungen. Doch dies ist mit langwierigen Bewilligungsverfahren und grosser Skepsis in der Bevölkerung verbunden. Einfacher wäre es daher, bestehende Leitungen so umzurüsten, dass sie neben dem üblichen Wechselstrom auch Gleichstrom transportieren können. So lassen sich die Vorteile der beiden Stromsysteme kombinieren und die Kapazität erhöhen.

Dabei gibt es aber einige Hürden: Je nach Konfiguration der einzelnen Kabel könnte das Knistergeräusch bei Regen bei einer sogenannten hybriden Leitung im Vergleich zur bestehenden Leitung etwas lauter ausfallen. Zudem war bisher nicht bekannt, ob in der Bevölkerung eine Akzeptanz für solche hybride Leitungen gegeben ist. Doch Forschende der ETH Zürich und der Universität Bern vermuteten, dass die Widerstände gegenüber Hybridleitungen geringer sind als bei einem Neubau. Diese Vermutung überprüften sie mit einer Umfrage. Sollte die Annahme zutreffen, wäre es einfacher, die künftig benötigten Kapazitäten rechtzeitig bereitzustellen.

Zwei verschiedene Stromsysteme

Als vor über hundert Jahren der Aufbau der Stromnetze begann, konnten die erforderlichen hohen Spannungen nur mit Wechselstrom erreicht werden. Deshalb arbeiten auch heute noch die meisten Übertragungsleitungen mit dem Wechselstromsystem. Mittlerweile aber gibt es elektrische Bauteile, die die nötigen Spannungen auch mit Gleichstrom herstellen können. Damit wird die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) möglich, die gegenüber der Wechselstromtechnik einige Vorteile bietet: So kann zum Beispiel HGÜ auf einer existierenden Leitung mehr Leistung übertragen und die Verluste sind geringer als beim Wechselstrom.

Die Experimentierleitung im Freien in Däniken (SO).
Die Experimentierleitung im Freien in Däniken (SO). Christian Franck

Um eine bestehende Freileitung zum hybriden System umzubauen, werden auf der einen Seite jedes Mastes Wechselstromleitungen installiert, auf der anderen solche für Gleichstrom. Um die Auswirkungen dieses Konzepts zu testen, haben die Forschenden Messungen sowohl im Labor wie auch an einer Testleitung im Freiluftlabor durchgeführt. Dabei prüften sie die Lärmentwicklung, die aufgrund von Teilentladungen entsteht, und berechneten das magnetische Feld, das vom Strom ausgeht. Resultat: Mit geeigneter Konfiguration ergeben sich weder bei der Lärm- noch der Feldbelastung grosse Unterschiede zwischen dem hybriden und dem heute üblichen Wechselstromsystem. Die geltenden Grenzwerte werden nicht überschritten und der Einfluss auf Menschen ist minim. Um die Effekte noch detaillierter zu studieren, konnten die Forschenden zudem Drittmittel für weitere drei Jahre Betrieb des Freiluftlabors akquirieren.

Die Forschenden untersuchten auch die Dimensionierung von Isolatoren für das neue Leitungsdesign und die Stabilität des Netzes im Fall von Kurzschlüssen. Experimente an Isolatoren mit Gleich- und Wechselspannung zeigen, dass die schon existierenden Normen für konventionelle Wechselstrom- und Gleichstromisolatoren ausreichen. Und die heutigen Schutzmechanismen vermögen auch mit Kurzschlüssen oder Ausfällen in Leitungen mit grossen Gleichrichtern umzugehen. Das Verteilnetz wird von solchen Ausfällen nicht bedroht.

Akzeptanz in der Bevölkerung

Der entscheidende Vorteil der hybriden Freileitungen ist, dass sie mehr Strom übertragen können, ohne dass der Bau neuer Leitungen nötig ist. Dies sollte nach Ansicht der Forschenden die Akzeptanz in der Bevölkerung steigern. Ob dies wirklich so ist, haben sie mit einer Befragung von rund 1300 repräsentativ ausgewählten Personen geprüft. Die Befragten wurden in vier Gruppen aufgeteilt: Eine Gruppe erhielt eine negative Information zu hybriden Freileitungen, die zweite eine positive Information, die dritte Gruppe beide Informationen und die vierte gar keine.

Die Teilnehmenden bewerteten freistehende Stromleitungen generell als etwas Störendes. Allerdings zeigte sich ein interessanter Effekt: Je näher die Befragten an einer Leitung wohnen, desto weniger störend empfinden sie diese. Als Hauptproblem nannten sie wahrgenommene Gesundheitsbeeinträchtigungen, an zweiter Stelle war der negative Effekt auf das Landschaftsbild und an dritter Stelle gaben sie das Brummen als störenden Lärm an. Personen, die von ihrem Wohnort aus eine Freileitung sehen, gaben überproportional oft an, sie hätten keine Probleme mit Freileitungen.

Zustimmungsrate zu hybriden Freileitungen, nach Informationsstand.
Zustimmungsrate zu hybriden Freileitungen, nach Informationsstand. Christian Franck

Bezüglich der hybriden Freileitungen zeigte sich, dass die zur Verfügung stehenden Informationen entscheidend dafür sind, wie Personen die Leitungen bewerten. Ohne Information stimmten 61 Prozent den Hybridleitungen zu. Die positive Information – nämlich, dass hybride Leitungen unumgänglich sind, um die künftig verlangte Kapazität bereitstellen zu können – erhöhte die Zustimmungsrate auf 75 Prozent.

Umgekehrt war es bei der negativen Information. Diese besagte, dass Hybridleitungen möglicherweise besser hörbar und spürbar wären, wenn man direkt darunter steht. Dies führte dazu, dass nur noch etwa ein Drittel der Personen den Hybridleitungen zustimmten. Eine sehr ähnliche Zustimmungsrate resultierte auch in der Gruppe, die beide Informationen erhielt. Daraus schliessen die Forschenden, dass die negativen Informationen gegenüber der positiven Information dominiert. Dies wiederum heisst, dass die Bevölkerung so früh wie möglich über die neue Technologie informiert werden sollte, damit Verständnis erzeugt werden kann. Denn gerade in der Anfangsphase ist die Zustimmung sehr volatil und dadurch anfällig für Negativkampagnen, die diffuse Ängste verstärken können. Reale Ängste aber sollten ernst genommen werden. Die Bevölkerung sollte über eventuelle Risiken informiert werden und erfahren, wie diese Risiken angegangen werden.

Daneben ist es laut den Forschenden sinnvoll, die Alternativen aufzuzeigen. Im Fall von Hybridleitungen wäre dies der Neubau von Freileitungen. Dies sollte zu einer grossen Zustimmungsrate für Hybridleitungen führen. Ein weiteres Mittel zur Steigerung der Zustimmung ist auch, möglichst alle Unsicherheiten und Nachteile auszuräumen. Für Hybridleitungen bedeutet dies, Umweltbelastungen wie Brummen und elektromagnetische Felder so gering wie möglich zu halten – im Idealfall tiefer als mit der alten Installation der Wechselstromfreileitung.

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Kontakt und Team

Prof. Dr. Christian Franck

Institut für Elektrische Energieübertragung
ETH Zürich
Physikstrasse 3
ETL H28
8092 Zürich

+41 44 632 47 62
franck@eeh.ee.ethz.ch

Martin Pfeiffer

Christian Franck

Projektleiter

Isabelle Stadelmann-Steffen

Sören Hedtke

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 10.05.2019 ab.