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Wie machen gekoppelte Energiesysteme das, was man von ihnen will?

Dezentrale Energiesysteme müssen vieles eigenständig koordinieren: Wie verteilen sie die verfügbare Energie an die angeschlossenen Gebäude oder wie gehen sie mit dem öffentlichen Stromnetz um? Nun haben Forschende der ETH Zürich eine Steuerungsmethode für solche Systeme entwickelt und verschiedene Strategien für die Energieverwaltung miteinander verglichen.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Steuerung dezentraler Energiesysteme». Dieses Projekt ist Teil des Verbundprojektes «Nachhaltige dezentrale Stromerzeugung».
Mit Photovoltaikanlagen und weiteren dezentralen Kraftwerken könnten Quartiere künftig ihre eigene Energie produzieren und diese auch gleich selbst verwalten.
Mit Photovoltaikanlagen und weiteren dezentralen Kraftwerken könnten Quartiere künftig ihre eigene Energie produzieren und diese auch gleich selbst verwalten. peart/iStock
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Je nach lokalen Bedingungen bestehen dezentrale Energiesysteme aus unterschiedlichen Anlagen, die miteinander koordiniert werden müssen, um eine günstige und sichere Energieversorgung zu gewährleisten. Forschende der ETH Zürich haben eine Methode für die Steuerung solcher Systeme entwickelt.
  • Ein Computerprogramm reguliert die Anlagen innerhalb eines Multi-Energiesystems sowie die Verteilung der Energie an die angeschlossenen Gebäude. Zusätzlich steuert es den Austausch mit dem öffentlichen Stromnetz und allenfalls mit der öffentlichen Gasversorgung.
  • Die Methode haben die Forschenden an zwei Fallstudien geprüft: eine im Dorf Zernez im Kanton Graubünden und eine im Zürcher Stadtteil Altstetten. An beiden Orten sank der CO2 -Ausstoss im Test beträchtlich – in Zernez gar unter die von der Energiestrategie 2050 festgelegte Grenze.

Zusätzlich zu einigen grossen Kraftwerken dürften in Zukunft viele kleine Anlagen erneuerbare Energie liefern – für einzelne Häuser, Siedlungen und Quartiere oder ganze Städte. Dazu sind drei Komponenten nötig: Erstens Energieproduktionsanlagen wie Solar- oder Windkraftwerke; zweitens Umwandlungsanlagen wie Wärmepumpen, Elektrolysezellen oder Brennstoffzellen. Die beiden letzteren speichern Energie in Form von Wasserstoff, Elektrolysezellen stellen den Wasserstoff unter Einsatz von Strom her, Brennstoffzellen machen das Umgekehrte. Drittens braucht es Speicheranlagen für Energie, etwa Batterien, Warmwasserspeicher oder Wasserstoffspeicher.

Doch es reicht nicht, die Anlagen einfach zu installieren – sie müssen auch optimal zusammenspielen. Dafür müssen diese auch Multi-Energy-Hubs genannten Anlagen nicht nur miteinander vernetzt, sondern auch aufeinander abgestimmt gesteuert werden. Zusätzlich muss ein Energy-Hub auch die Anbindung an externe Energiequellen wie das öffentliche Stromnetz koordinieren: Wann speist das System überschüssigen Strom ins Stromnetz ein, wann bezieht es Strom? Wann benötigen die versorgten Gebäude allenfalls zusätzlich Gas oder andere Brennstoffe, um zu heizen oder Heisswasser zu produzieren? Diese Fragen muss das System abhängig von den aktuellen Bedingungen beantworten und die Anlagen dementsprechend steuern. Und es muss sehr rasch auf Veränderungen bei der Energieproduktion oder beim Verbrauch reagieren können. Dafür braucht es einen ausgeklügelten Steuer- und Kontrollmechanismus. Einen solchen Mechanismus haben die Gruppenleiter Turhan Demiray und Roy Smith von der ETH Zürich zusammen mit ihren Forschungsteams in einem Unterprojekt des Verbundprojekts «Nachhaltige dezentrale Stromerzeugung» entwickelt.

Zunächst erstellten die Forschenden ein mathematisches Computermodell eines komplexen Multi-Energy-Hubs. Darin produziert eine Photovoltaikanlage Strom, der entweder sofort verbraucht, in einer Batterie gespeichert oder in Wasserstoff umgewandelt wird, um die Energie langfristig zu speichern. Fürs Heizen enthält das System neben einem konventionellen Warmwasserboiler eine Wärmepumpe und einen Warmwasserspeicher.

Der im Modell durchgerechnete Multi-Energy-Hub: Energie kommt in Form von Gas oder Strom aus den öffentlichen Netzen in das System hinein, hauptsächlich wird sie aber direkt im Hub von Solaranlagen produziert. Die Energie wird entweder direkt verbraucht, gespeichert oder in eine andere Form umgewandelt und gespeichert.
Der im Modell durchgerechnete Multi-Energy-Hub: Energie kommt in Form von Gas oder Strom aus den öffentlichen Netzen in das System hinein, hauptsächlich wird sie aber direkt im Hub von Solaranlagen produziert. Die Energie wird entweder direkt verbraucht, gespeichert oder in eine andere Form umgewandelt und gespeichert. Demiray et al./ETH Zürich

Unsicherheiten modellieren

Die Auslegung und die Spezifikationen für diesen modellierten Energy-Hub erhielt das Forschungsteam von Kooperationspartnern, die sich in einem anderen Unterprojekt mit der technologischen Evaluation von geeigneten Produktions- und Speicheranlagen befasst hatten. Zusätzlich modellierten die Forschenden auch eine Reihe von Gebäuden, die vom Hub versorgt werden sollten, sowie deren Energiehaushalt – etwa wie viel Wärme jeweils durch Fenster und Wände verlorengeht.

Um die Steuerung der Anlagen und der Gebäude zu beschreiben, nutzten die Forschenden unter anderem Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnung. So gaben sie dem Modell die Fähigkeit, mit Unsicherheiten umzugehen – eine Voraussetzung dafür, dass das System auf Unvorhergesehenes reagieren kann. Für die Steuerung bauten die Forschenden eine sogenannte Modellprädiktive Regelung in ihr Modell ein. Diese kann das zukünftige Verhalten eines modellierten Prozesses berechnen. So kann das Energiesystem zum Beispiel auf Wetterprognosen reagieren, etwa auf einen wolkenlosen, sonnigen Tag, bei dem mehr Sonnenenergie als üblich anfällt. Ausserdem mussten bestimmte Beschränkungen für den Betrieb der Anlagen ins Modell eingefügt werden: einerseits Obergrenzen, sodass weder die Anlagen noch das Stromnetz überlastet werden können, andererseits Untergrenzen – schliesslich braucht es ein Minimum an Energie, damit die Gebäude behaglich zu bewohnen sind.

Energieversorgung im Vergleich

Nun galt es zu ermitteln, mit welcher Taktik die vernetzten Energiesysteme am besten gesteuert werden können. «Aus Sicht der Siedlung und deren Bewohner, die vom Energy-Hub versorgt werden, ist das Ziel, dass möglichst wenig Energie dazugekauft werden muss», erklärt Projektleiter Demiray. Gleichzeitig soll das System sicher sein und immer genug Energie für ein komfortables Wohnen bereitstellen.

Wie das am besten gelingt, erprobten die Forschenden mit zwei verschiedenen Strategien: Zum einen eine zentralisierte Steuerung, zum anderen eine individualisierte. Bei der zentralisierten Variante werden mehrere Multi-Energy-Hubs betrachtet, die jeweils für die Versorgung einer Siedlung verantwortlich sind. Hier können die Systeme nicht nur vom öffentlichen Netz Energie beiziehen, sondern durch ein geteiltes Netzwerk auch untereinander austauschen. Sie eröffnen also einen eigenen, lokalen Energiemarkt. Dafür müssen die Steuerprogramme der individuellen Hubs zu einem Konsens finden, nämlich zu welchen Preisen und weiteren Konditionen sie Energie kaufen und verkaufen wollen. Über die Verteilung der Energie innerhalb der Hubs zu den einzelnen Gebäuden entscheidet dann ein virtueller Hubmanager.

Bei der individualisierten Strategie treten die einzelnen Gebäude stärker in Erscheinung. Sie melden ihren Bedarf selbständig beim Steuerprogramm des Hubs an. Darauf kann der virtuelle Hubmanager reagieren, beispielsweise indem er die Energie verteuert, wenn der Bedarf in der Siedlung gerade sehr hoch ist. Darum müssen sich bei dieser Steuerungsvariante die Gebäude und der Hubmanager einig werden über die minimal benötigte Energiemenge und eine Obergrenze für die Energiepreise.

Im Vergleich zwischen diesen beiden Strategien erwies sich die individualisierte als vorteilhafter. Zwar erhalten die Gebäude mit dieser Variante ihre Energie nicht günstiger, aber die Steuerung ist leichter zu skalieren: Mehrere Siedlungen oder gar eine ganze Stadt auf diese Weise über einen Energy-Hub zu versorgen, benötigt deutlich weniger Rechenleistung als mit der zentralisierten Strategie.

Die beiden Steuerstrategien im Vergleich: Die Energiekosten (oben) für die einzelnen Gebäude sind bei beiden Strategien ungefähr gleich. Doch schon bei wenigen versorgten Gebäuden benötigt die zentralisierte Variante viel mehr Rechenzeit. Und je mehr Gebäude am System angeschlossen sind, desto grösser wird dieser Unterschied.
Die beiden Steuerstrategien im Vergleich: Die Energiekosten (oben) für die einzelnen Gebäude sind bei beiden Strategien ungefähr gleich. Doch schon bei wenigen versorgten Gebäuden benötigt die zentralisierte Variante viel mehr Rechenzeit. Und je mehr Gebäude am System angeschlossen sind, desto grösser wird dieser Unterschied. Demiray et al./ETH Zürich

Ihre Ergebnisse haben die Forschenden mit den Resultaten der weiteren Unterprojekte kombiniert. Diese hatten sich jeweils mit der technologischen und wirtschaftlichen Evaluation von Multi-Energiesystemen befasst. Zusammengenommen entstand so eine Methode, mit der sich Multi-Energy-Hubs für Siedlungen von ganz unterschiedlicher Grösse und Zusammensetzung planen lassen. Die Methode haben die Forschenden in Computersimulationen anhand zweier Fallstudien getestet: eine im Dorf Zernez im Kanton Graubünden und eine im Zürcher Stadtteil Altstetten. Für diese beiden Siedlungen wurde jeweils einen Multi-Energy-Hub inklusive dessen Steuerung geplant und die Auswirkungen analysiert: An beiden Orten würde der CO2 -Ausstoss durch die koordinierte Nutzung von erneuerbaren Energiequellen beträchtlich sinken – in Zernez gar unter die von der Energiestrategie 2050 festgelegte Grenze.

Kontakt und Team

Dr. Turhan Hilmi Demiray

ETH Zürich
FEN-ETH
Sonneggstrasse 28
8092 Zürich

+41 44 632 41 85
demirayt@ethz.ch

Turhan Hilmi Demiray

Projektleiter

Andrea Giovanni Beccuti

Georgios Darivianakis

Annika Eichler

Roy Smith

Alle Aussagen dieser Seiten bilden den Stand des Wissens per 10.05.2019 ab.