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Wo soll der Strom künftig herkommen?

Die Energiestrategie 2050 sieht vor, Kernenergie in der Schweiz durch erneuerbare Energie zu ersetzen. Die Schweizer Bevölkerung unterstützt dies, lehnt aber Erdgaskraftwerke ab – auch als Übergangstechnologie.

Zusammenfassung des Forschungsprojekts «Risiken der erneuerbaren Stromversorgung».
Hochspannungsleitungen sind nötig, um importierten Strom ohne das Risiko von Unterbrüchen in die Schweiz zu bringen: Eine Leitung im Wallis.
Hochspannungsleitungen sind nötig, um importierten Strom ohne das Risiko von Unterbrüchen in die Schweiz zu bringen: Eine Leitung im Wallis. Adobe Stock
Auf einen Blick

Auf einen Blick

  • Die Umsetzung der Energiestrategie 2050 verlangt, Strom aus Kernkraftwerken in der Schweiz mit Strom aus erneuerbaren Quellen zu ersetzen.
  • Die Forschenden untersuchten, ob dadurch die Versorgungssicherheit gefährdet ist und ob Gaskraftwerke als Übergangslösung nötig sind.
  • Ihr Fazit: Die erneuerbaren Energien alleine reichen aus und sie sind zudem billiger als der Einsatz von Gas.
  • Zusätzlich erforschten die Wissenschaftler die Präferenzen der Bevölkerung und identifizierten, was die Umsetzung der Energiestrategie 2050 gefährden könnte.

Derzeit stammen etwa 30 Prozent des in der Schweiz verbrauchten Stroms aus Atomenergie. Dieser Anteil soll – gemäss den Zielen der Energiestrategie 2050 – mit Strom aus erneuerbaren Quellen ersetzt werden. Allerdings sind damit neue Risiken verbunden: Strom aus Solarkraftwerken oder von Windturbinen kann unstet fliessen und die Öffentlichkeit kann den Ausbau gefährden, etwa wenn sie sich gegen den Bau von Stromleitungen oder Windturbinen stellt. In diesem Forschungsprojekt wollten die Forschenden eruieren, wie viel erneuerbare Energie die Schweiz anstreben soll und woher diese kommen soll. Mit solchen Erkenntnissen sollen Entscheidungsträger unterstützt werden. Dazu analysierten die Forschenden die erwähnten Risiken bei den vier aussichtsreichsten Optionen für den Ausbau der erneuerbaren Energien: Windenergie aus der Schweiz, Solarenergie von Schweizer Hausdächern und Solarfarmen, Offshore-Windanlagen in der Nordsee und Solarwärmekraftwerke in Nordafrika.

Die Analyse zeigt, dass die Schweiz von Atomstrom auf erneuerbare Energien umsteigen kann, ohne dass die Versorgungssicherheit gefährdet ist. Für die Experten ist klar: Der Umstieg von Atomenergie auf Erneuerbare ist möglich, auch ohne Gaskraftwerke als Lückenfüller. Der Verzicht auf Gas macht den Umstieg sogar billiger – vorausgesetzt die Stromgestehungskosten von Wind- und Sonnenenergie bleiben so tief, wie sie in Lieferverträgen im Jahr 2017 festgesetzt wurden. Allerdings sollte sich das Land nicht ausschliesslich auf Photovoltaik (PV) abstützen. Denn im Winter, wenn die Sonne nur schwach scheint, ist auch der Ertrag aus der Wasserkraft, welche für steten Stromfluss sorgen sollte, reduziert. Dies, weil eine grosse Menge Wasser in Form von Schnee gebunden ist und nicht auf die Turbinen fliessen kann. Sinnvoll ist deshalb, auch Offshore-Windstrom aus nördlichen Ländern zu importieren, denn diese Quelle ist insbesondere im Winter ergiebig. Weil damit allerdings die Importe steigen, ist es wichtig, dass mehrere parallele Übertragungswege vorhanden sind – für den Fall, dass einer davon ausfällt.

Wie die Bevölkerung denkt

Weiter untersuchten die Forschenden, wie die Schweizer Stimmbevölkerung über die verschiedenen Optionen zur künftigen Stromversorgung denkt. Dazu befragten sie 1186 Personen und fragten sie, ob sie Strom aus Sonnen- oder Windenergie oder aus Erdgas bevorzugen und woher diese Energie kommen sollte. Die Befragten haben eine klare Präferenz für Sonnenenergie – vor allem, wenn diese von Dächern in einheimischen Industriegebieten oder Skigebieten stammt. 95 Prozent der Befragten bevorzugen Strom aus der Schweiz, gleichzeitig akzeptieren aber 84 Prozent auch Importe. In der Analyse liessen sich fünf Gruppen identifizieren:

  • Pro Erneuerbare (17 %): Dieser Gruppe ist es weitgehend egal, woher der Strom stammt, Hauptsache er ist aus erneuerbaren Quellen. Sowohl Atomstrom als auch Energie aus Erdgas bewertet diese Gruppe negativ.
  • Pro Schweiz (16 %): Für diese Gruppe ist es am wichtigsten, dass die Kraftwerke in der Schweiz stehen. Auch diese Gruppe bevorzugt Strom aus Sonnen- oder Windenergie, bewertet aber Importe negativ.
  • Moderate (26 %): Am liebsten wäre dieser Gruppe erneuerbare Energie aus der Schweiz. Aber auch importierter grüner Strom wird positiv bewertet. Wichtig sind geringe Kosten für die Energie. Für diese Gruppe sind auch künftig Atomkraftwerke in der Schweiz denkbar.
  • Contra Status quo (35 %): Am wichtigsten ist dieser Gruppe der Atomausstieg. Die grösste Präferenz hat sie für Schweizer Sonnenstrom, gefolgt von importiertem Windstrom. Auch Gaskraftwerke in der Schweiz bewertet die Gruppe leicht positiv.
  • Pro Landschaft (5 %): Diese Gruppe möchte keinen negativen Einfluss auf die Landschaft haben. Deshalb bevorzugt sie den Import von erneuerbaren Energien aus dem Ausland und bewertet Schweizer Solarstrom negativ. Aber auch Atomkraftwerke sollten gemäss dieser Gruppe nicht in der Schweiz stehen.

Schweizer Strom aus dem Ausland

Insgesamt steht die Stimmbevölkerung Photovoltaikanlagen aufgeschlossen gegenüber. Einzig die Gruppe «Pro Landschaft» hat eine ablehnende Haltung, vor allem gegenüber PV-Anlagen in der Landschaft – bei Anlagen auf Dächern ist der Widerstand geringer. Doch die Befragung zeigte auch, dass der Schweizer Bevölkerung «Swissness» wichtig ist. Das heisst nicht zwingend, dass der Strom aus der Schweiz kommen muss. Aber Stromimporte werden breitere politische Unterstützung erfahren, wenn in die Planung, den Bau und Betrieb von ausländischer Strominfrastruktur Schweizer Unternehmen involviert sind. Die Studienautoren gehen davon aus, dass der schrittweise Ausbau von Stromimporten letztlich ebenso akzeptiert werden wird, wie es heute beim Erdöl der Fall ist.

Bessere Information nötig

Wie einzelne Bürgerinnen und Bürger den Umbau der Energieinfrastruktur subjektiv erleben, untersuchten die Forschenden anhand von drei Entscheidungsprozessen für Projekte in verschiedenen Landesregionen: Einem Kleinwasserkraftwerk in Berschnerbach (SG), einem Pilotprojekt für Solaranlagen auf Lawinenverbauungen in St. Antönien (GR) und einem Solarkraftwerk auf Feldern bei Payerne (VD).

Dabei zeigte sich, dass es zwischen den verschiedenen Schweizer Föderalismusstufen unterschiedliche Auffassungen über die Umsetzung der Energiestrategie 2050 gibt. So gehen Gemeinden (die tiefste Föderalismusstufe) davon aus, dass sie am besten über die lokalen Bedürfnisse Bescheid wissen. Der Bund als oberste Föderalismusstufe hat die Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft im Auge und geht davon aus, so auch die lokalen Bedürfnisse abzudecken. Aus diesen Ansprüchen der verschiedenen politischen Ebenen entsteht ein Widerspruch, der die Umsetzung der Energiestrategie 2050 gefährden kann – insbesondere wenn lokale Entscheidungsträger mit dem übergeordneten Ganzen nicht einverstanden sind. Eine grundsätzliche Ablehnung gegenüber der Energiestrategie 2050 konnten die Forschenden aber nicht ausmachen. Wichtig für die Umsetzung wird es aber sein, die lokalen Behörden und die Bevölkerung frühzeitig in die politischen Planungsprozesse einzubeziehen. Dazu gehört auch, dass die Projektverantwortlichen die Bürgerinnen und Bürger über ihre Pläne informieren.

Die Forschenden halten fest, dass die neue Energieversorgungsstrategie des Bundes teils mit Vorhaben von Kantonen und Gemeinden kollidieren kann. Sie schlagen deshalb vor, ein Forum zu installieren, um die verschiedenen Ansprüche abzusprechen. So könne die Umsetzung der Energiestrategie 2050 um mehrere Jahre beschleunigt werden.

Kontakt und Team

Prof. Anthony Patt

Departement Umweltsystemwissenschaften
ETH Zürich
Universitätstrasse 16
CHN J74.2
8092 Zürich

+41 44 632 58 21
anthony.patt@usys.ethz.ch

Anthony Patt

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Paula Díaz

Leonhard Späth

Christiane Plum

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